KampfmittelräumungVor dem Hintergrund des in der Ukraine andauernden Krieges führte der APD-Fachdialog Boden (FDB) am 06.09.2022 eine Diskussionsveranstaltung „Kampfmittelräumung auf belasteten landwirtschaftlichen Flächen mit Beispielen aus Deutschland – Perspektiven für die Ukraine“ durch.

Im Fokus der Veranstaltung stand die Vorstellung des im Auftrag des FDB im Juni dieses Jahres von Dr. Kay Winkelmann, beratender Ingenieur für Kampfmittelräumung, verfasstes Paper „Gefahren durch Kampfmittel bei der landwirtschaftlichen Flächennutzung in der Ukraine durch den russischen Angriffskrieg 2022“.

Eröffnet wurde die Veranstaltung vom stellv. Minister für Agrarpolitik und Ernährung der Ukraine, Markiyan Dmytrasevych. In seinem Grußwort betonte er, dass das Ausmaß der Kontamination durch Kampfmittel in der Ukraine beispiellos seit dem Zweiten Weltkrieg ist. Die mit der Räumung verbundenen Herausforderungen seien immens und für die Ukraine alleine kaum zu stemmen. Gerade für den Agrarsektor, der das Rückgrat der ukrainischen Volkswirtschaft bildet, seien die ökonomischen aber vor allem auch die menschlichen Verluste durch die verminten Felder besonders schmerzvoll.

In der anschließenden Präsentation von Kay Winkelmann wurden anhand von Beispielen aus Deutschland unterschiedliche Verfahrensweisen bei der Kampfmittelräumung vorgestellt. Dabei ging der Referent auch speziell auf die aktuelle Situation in der Ukraine ein. So sind nach Einschätzung von Winkelmann inzwischen ca. 150.000-180.000 km2 des Landes von Kampfhandlungen betroffen, was ca. 25-30% des ukrainischen Territoriums entspricht. Neben Siedlungsgebieten seien insbesondere landwirtschaftliche Flächen betroffen. Für Menschenleben besonders gefährlich sei der Einsatz der international geächteten Streumunition, die i.d.R. mit empfindlichen Zündern versehen ist und eine hohe Anzahl an Blindgängern (Blindgänger-Quote 30-50%) aufweist.

Die Räumungsarbeiten würden laut Kay Winkelmann u.a. auch dadurch erschwert, dass es in der Ukraine neben Streumunition viele verschiedene Kampfmittel aus unterschiedlichen Nationen und Epochen, darunter auch improvisierte Kampfmittel, zum Einsatz kommen. Wichtig sei aber, schon jetzt Gefährdungsabschätzungen vorzunehmen und die kampfmittelbelasteten Gebiete systematisch zu erfassen. So soll perspektivisch die Effizienz der Räumung gesteigert und die Flächen für die Bewirtschaftung rascher freigegeben werden.

Winkelmann würdigte den Einsatz und die Professionalität der ukrainischen Kampfmittel-Räumungs-Fachkräfte, wies jedoch darauf hin, dass angesichts des gewaltigen Ausmaßes der Zerstörung und der Größe der mit Kampfmitteln kontaminierten Gebiete die Ukraine bei der Kampfmittelräumung schon jetzt an die personellen und materiellen Kapazitätsgrenzen stößt. Es sei deshalb dringen vonnöten, dass die internationale Gemeinschaft der Ukraine dabei tatkräftige Unterstützung leistet, vor allem finanziell, materiell und bei der Personal-Ausbildung.

 In den weiteren Vorträgen stellten Volodymyr Demchuk, Generalmajor des Zivilschutzes und Leiter der Abteilung Reaktion auf Katastrophenfälle bei dem Staatlichen Dienst für Notfallsituationen der Ukraine (DSNS), mit seinem Kollegen Andriy Bevz und Denys Holovetskyi, stellv. Programm-Leitung der internationalen auf Kampmittelräumung spezialisierten Nichtregierungsorganisation HALO Trust, den Aufbau und die Schwerpunkte ihrer Organisationen sowie die aktuellen Aktivitäten bei der Kampfmittelräumung. Dabei betonten sie, dass die Ukraine im Hinblick auf Kampfmittelräumung vor gewaltigen Herausforderungen stehe. Es handele sich um eine ressourcenintensive Tätigkeit mit einem extrem hohen Aufwand, geringem Arbeitsfortschritt sowie sehr hohen Kosten. Die Ukraine zählt daher weiterhin auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, ohne deren bisherigen Hilfeleistungen die Situation im Land viel dramatischer wäre.

In der anschließenden Podiumsdiskussion, an der auch Pavlo Koval, Geschäftsführung der Ukrainischen Agrarkonföderation, und Yury Marchuk, Vorstand des Verbandes der Förster in der Ukraine teilnahmen, schilderten die Teilnehmende die Herausforderungen, mit denen vor allem die ukrainischen forst- und landwirtschaftlichen Betriebe im Zusammenhang mit Kampfmittelbelastung konfrontiert sind und wie diese Herausforderungen von den einzelnen Betrieben bzw. staatlichen und kommunalen Verwaltungen in Angriff genommen werden.

Besonders stark würden laut Koval die kleineren Familienbetriebe leiden, die durch die Kampfmittelbelastung von landwirtschaftlichen Flächen ihre Existenzgrundlage verlieren. Nicht zu unterschätzen seien auch die langfristigen Gefahren, die von den in der Munition häufig enthaltenen gesundheitsschädlichen Stoffen ausgehen. Sein Verband setzt deshalb zunehmend auf die Aufklärungsarbeit, um die Bevölkerung für die Gefahren zu sensibilisieren. Trotzdem seien fast jeden Tag Verletzte und Tote durch die Explosionen von Landminen und anderen Kampfmitteln zu beklagen. Ein erhebliches Problem würde auch die Belastung von Flüssen, Stauseen und weiteren Gewässern (u.a. Küstengebiete vom Asowschen und Schwarzen Meer, hydrotechnische Anlagen, Seehäfen) darstellen.

Alle Diskutanten waren sich einig, dass die Räumung der durch Kampfmittel belasteten Flächen eine Mammutaufgabe ist, die das Land noch jahrzehntelang beschäftigen wird. Sie sei aber die Voraussetzung für den Wiederaufbau der Ukraine. Denn dabei würde es auch darum gehen, die zerstörte Infrastruktur, Versorgungseinrichtungen, Wohnbereiche sowie Produktionsstätten wiederherzustellen. Es sei daher wichtig, schon jetzt ganz konkret über die Priorisierung und Aufgabenteilung zu sprechen. Von entscheidender Bedeutung sei dabei die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, zu der nicht zuletzt auch fachlicher Austausch und Vermittlung von bewährten Verfahren zählen.

In seinem Schlussstatement bedankte sich Frank Müller, Agrarattaché an der Deutschen Botschaft in der Ukraine, für die Organisation der Veranstaltung und würdigte vor allem den Mut und den Einsatz der ukrainischen Landwirtinnen und Landwirte, die unter Lebensgefahr weiter Felder bestellen und somit Sorge für die Gewährleistung der Welternährung tragen. Für die Schaffung von entsprechenden Rahmenbedingungen würde auch der ukrainischen Regierung Respekt gebühren. Nun soll es darum gehen, die durch Kampfmittelbelastung entstandenen Risiken möglichst rasch zu minimieren und das Potential der ukrainischen Agrarwirtschaft wiederherzustellen. Deutschland werde die Ukraine auf diesem Wege weiterhin nach Möglichkeiten unterstützen.

An der Veranstaltung nahmen insgesamt rund 140 Teilnehmende sowohl aus der Ukraine als auch aus Deutschland teil, darunter Vertretung von staatlichen Institutionen, Behörden, kommunalen Einrichtungen, wissenschaftlichen Instituten, Hochschulen, Verbänden, Agrarbetrieben und Medienunternehmen. Das große Interesse zeigte sich auch an vielen Fragen an Referenten und regen Diskussionen, welche von Katja Dells, Leiterin des APD-Fachdialogs Boden, moderiert wurden. Die Veranstaltung wurde mit Unterstützung der Nationalen Universität für Lebens- und Umweltwissenschaften der Ukraine (NUBIP) organisiert.

Quelle und Foto: APD-Fachdialog Boden; Datum: 06.09.2022

Загрузка... .